Steht der Wechsel in eine weiterführende Schule an, beginnt in vielen Familien der Bewerbungsstress. Eltern suchen die ideale Schule. Doch was heißt eigentlich ideal?
“Kind Zwei” geht in die vierte Klasse einer Berliner Grundschule. Theoretisch hat es noch Zeit – in der Hauptstadt wechseln Kinder im Regelfall erst nach der sechsten Klasse auf die Oberschule. Doch schon heute macht sich langsam, ganz sachte, aber doch spürbar, Panik breit unter vielen Eltern. In ihren Köpfen läuft ein Countdown. Der Countdown für den Übergang in eine weiterführende Schule. Nicht ohne Grund – in der Hauptstadt wird es immer enger auf den weiterführenden Schulen.
Bereits in diesem Jahr brauchen nochmals weit über 1000 Siebtklässler mehr als im Vorjahr einen Platz auf einer weiterführenden Schule. Tendenz steigend. Und selbst Schüler, deren Wunschschule direkt vor ihrer Haustür liegt, müssen um einen Schulplatz bangen. Schließlich sind rund zwei Drittel aller Gymnasien und Sekundarschulen übernachgefragt. “Drei komplette Oberschulen fehlen schon jetzt”, sagte Bildungsstadtrat Torsten Kühne (CDU) gerade gegenüber dem Tagesspiegel.
Ohne sehr gute Noten läuft nichts mehr
Stark nachgefragte staatliche Gymnasien können sich in Berliner Akademiker-Vierteln 60 Prozent ihrer Anfänger nach Durchschnittsnoten, Auswahltest oder besonderen Kompetenzen aussuchen. Und wenn die Noten für einen Platz auf der Wunschschule nicht reichen, landet das Kind im Lostopf.
So kommt es, dass schon viele Grundschulkinder unter Dauerbeobachtung ihrer besorgten Eltern stehen: “Hat man nicht in jedem Fach eine Eins auf dem Zeugnis, muss man sich auf einem Elite-Gymnasium erst gar nicht bewerben“, sagt die Mama von Tina, die in Wirklichkeit anders heißt. Und gibt als nächstes mit einem Achselzucken zu, während ihrer eigenen Schullaufbahn niemals so gute Noten gehabt zu haben. Warum erwarten viele Eltern von ihren Grundschulkindern also Höchstleistungen? Warum müssen Kinder, um den Notendurchschnitt ihrer Wunschschule zu erreichen, heute alles geben?
Die Lifestyle-Gymnasien
Nicht nur in Berlin sind weiterführende Schulen längst zum Statussymbol geworden. Ganz nach dem Motto: Sage mir, auf welches Gymnasium dein Kind geht – und ich sage dir, wer du bist. Eine Oberschule muss heute zum elterlichen Lifestyle passen. Genauso wie das Auto, die schicke Eigentumswohnung, die nächste Urlaubsreise oder der Bio-Supermarkt.
Auf den “richtigen“ Gymnasien soll die Bildungselite von morgen unter sich bleiben. Viele dieser Schulen haben eine spezielle Ausrichtung. Es gibt naturwissenschaftliche, musisch-künstlerische, sport- und sprachbetonte Oberschulen. Für einen der begehrten Schulplätze scheuen Eltern keine Mühen. In Berlin klagten sich zuletzt 300 Eltern in ihre “Wunschschule“. Wo soll das noch enden?
Zu hohe Erwartungen
Auch ich bin um mein großes Kind herumgeschwirrt, um es auf eine “gute“ Schule zu bekommen. Habe mich von einem “Tag der offenen Tür“ zum nächsten gehangelt, habe Empfehlungsschreiben gesammelt und Aufnahmeprüfungen organisiert. Und ich erinnere mich noch heute an den Tag, an dem die langersehnte Platzzusage kam. Wie sechs Richtige plus Superzahl fühlte sich das damals an. Was ist von davon übrig geblieben? Nicht viel. Heute fühle ich mich ertappt – denn wie viele Eltern hatte ich viel zu hohe Erwartungen.
Und ich glaube längst nicht mehr, dass die entscheidende Frage lautet, auf welche weiterführende Schule meine Kinder gehen sollen. Sondern frage mich vielmehr, ob es tatsächlich eine gute Idee war, meine Tochter auf ein sogenanntes Elite-Gymnasium zu schicken. In den USA haben Forscher gerade herausgefunden, dass der ständige Vergleich mit Mitschülern Kindern nachhaltig zusetzt. Und dazu führt, dass junge Menschen ein geringeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln. Mit langfristigen Folgen.
Die “beste Schule“ muss also nicht immer auch die richtige Schule sein. Mein Tipp: Zurücklehnen bitte! Gerade beim Wechsel in die weiterführende Schule sollten Eltern ihre Nerven schonen, denn sie werden sie später noch oft genug brauchen.