Mehrsprachige Kinder profitieren davon, wenn Familien ihre Mehrsprachigkeit konsequent pflegen. Nur so können sie sich in mehreren Sprachen zuhause fühlen.
Eine Muttersprache gibt uns immer das richtige Gefühl. In ihrer Nähe spüren wir Geborgenheit und die Gewissheit, immer verstanden zu werden. Wir verstehen alle Sprach-Nuancen. Ironie oder Sarkasmus können wir heraushören. Und gut Gemeintes sowieso. Aber was bedeutet der Begriff Muttersprache eigentlich für mehrsprachige Kinder?
Kinder können mehrere Sprachen gleichzeitig lernen: “Ameise“ gehört zu den ersten Wörtern meiner Tochter. Schnell kommen viele andere dazu. Ein Familienvideo aus ihrer Kindergartenzeit zeigt, wie sie vor der versammelten Familie Kasperle-Theater spielt. Und sehr viel Spaß dabei hat. Kommunikation fällt ihr leicht. Sie redet viel und gerne, spricht als kleines Mädchen manchmal Eltern auf dem Spielplatz an und unterhält sich dann mit ihnen.
“Eigentlich habe ich zwei Muttersprachen“
Dabei war es ihr schon immer völlig egal, auf welcher Sprache sie gerade mit ihrer Außenwelt kommuniziert. Sie spricht Deutsch, meine Sprache, genauso gut wie Spanisch, die Sprache ihres Vaters. Das “R“ kann sie wie ihre Verwandten auf den Kanarischen Inseln rollen. Welche der beiden Sprachen sie lieber mag? Das wisse sie nicht, so meine Tochter bis heute. Sie fühle sich in beiden Sprachen zuhause. “Eigentlich habe ich zwei Muttersprachen. Und zwei Zuhause“, sagt sie.
“Welche Muttersprache hat das Kind eigentlich?“
Wenn Eltern ihre Kinder mehrsprachig erziehen, dann werden Familie und Freunde manchmal hellhörig und befürchten Überehrgeiz: “Welche Muttersprache hat das Kind eigentlich?“, fragen die neugierige Tante oder der besorgte Opa. Lernt ein Kind von seiner Geburt an gleichzeitig zwei Sprachen, dann erwirbt es im Grunde genommen zwei Muttersprachen. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von “simultaner Zweisprachigkeit“. Um Verwechslungen zu vermeiden, unterscheidet man in der zweisprachigen Erziehung zwischen “Vatersprache“ und “Muttersprache“.
Auch mein Sohn kann schon als Zweijähriger die “Papa-Sprache“ von der “Mama-Sprache“ unterscheiden. Dennoch schleichen sich, gerade während seiner ersten Lebensjahre, immer wieder spanische oder deutsche Begriffe in die jeweils andere Sprache ein. Weil er mit mir öfter in der Küche steht, passiert dies bei Früchten häufiger in Deutsch, bei Begriffen, die er mit seinem Vater in Verbindung bringt (“playa“, “avión“), eher auf Spanisch. Doch sollte irgendjemand jemals befürchtet haben, seine Deutschkenntnisse könnten unter seiner “Vatersprache“ leiden, dann hat sich das nie bestätigt. Mittlerweile ist er ein einfallsreicher Geschichtenerzähler – egal auf welcher Sprache.
Muttersprache ist kein Makel
In Deutschland wußte man lange Zeit die Gabe der Mehrsprachigkeit kaum zu schätzen. Tief verwurzelt ist hierzulande die Auffassung, der Mensch könne nur eine Sprache richtig sprechen. Einflussreiche Germanisten wie Leo Weisgerber sahen frühe Zweisprachigkeit sogar als “nachteilig für das Kind an”.
Heute liegt mehrsprachige Erziehung bei Eltern im Trend. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Mehrsprachigkeit bei uns immer noch mit zweierlei Maß gemessen wird: Ein bilinguales Kind mit Französisch, Englisch oder Spanisch hat Vorteile. Doch Kindern, die neben Deutsch auch Türkisch, Arabisch oder Persisch sprechen, wird das nicht angerechnet.
Erst vor kurzem las ich hierzu einen Facebook-Post, der mich stutzen machte. Ein Bekannter erzählt darin aus seiner Schulzeit. Seine Lehrerin habe ihm einmal geraten, er solle zuhause besser kein Türkisch sprechen. Das sei nicht so gut. Zum Glück hat er sich aber niemals an diesen Ratschlag gehalten. Nur so sind Türkisch und Deutsch zu seinen Muttersprachen geworden.