Heute lautet ein typischer Vorwurf unserer Elterngeneration gegenüber, wir würden unsere Kinder zu sehr behüten. Aber ist Helikoptern wirklich nur schlimm?
In letzter Zeit denke ich immer öfter daran, wie weit doch meine eigene Kindheit von der meiner Kinder entfernt ist. Ich bin in den 80iger-Jahren aufgewachsen – auf dem Land, in einer westdeutschen Kleinstadt. Mein Leben war frei. Kam ich von der Schule nach Hause und hatte meine Hausaufgaben gemacht, dann kontrollierte niemand meinen genauen Aufenthaltsort.
Eltern-Taxis gab es nicht
Solange ich zum Abendessen wieder zu Hause war, konnte ich fast alles tun: Käfer beobachten, stundenlang Völkerball spielen und auf den Baum des Nachbarn klettern, um mir die Hosentaschen mit Kirschen vollzustopfen. Die schönste Zeit des Tages begann, wenn die Schule vorbei war und wir Kinder selbständig draußen herumtoben konnten.
Diese Freiheit brachte aus heutiger Sicht allerdings auch ein paar Unbequemlichkeiten mit sich. Eltern-Taxis gab es nicht: Alle Kindergarten- und Schulwege machte ich stets alleine. Zunächst zu Fuß und später mit dem Fahrrad. Egal ob zum Flötenunterricht oder zum Schwimm-Training – ich war stets verantwortlich dafür, pünktlich loszufahren und pünktlich anzukommen. Trödelte ich einmal oder vergaß die Zeit, dann mußte ich später auch die Konsequenzen dafür tragen.
“Papa ist müde“
Niemals wäre einer von uns auf die Idee gekommen, unsere 80iger Jahre-Eltern für irgendwelche Schulprobleme zu bemühen. Vielmehr hieß es: “Papa ist müde, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Den darfst du nicht stören.“
Was die Schule betrifft, gab es trotzdem ein paar goldene Regeln: Schlechte Noten waren grundsätzlich immer unsere Schuld. Lehrer hatten grundsätzlich immer recht. Und Pädagogen mit unzureichender pädagogischer Qualifikation oder wenigen Fachkenntnissen gab es nicht. Basta!
Lieblingsthema: Erziehung
Heute ist alles anders. Unsere Elterngeneration hinterfragt ständig, ob mit den eigenen Kindern alles richtig läuft. Wir vertragen keine tyrannischen Lehrer und scheuen auch nicht davor zurück, als Elternvertreter in der Schulversammlung zu sitzen. Zu unseren Lieblingsthemen gehören Erziehungsfragen. Von Anfang an.
Viele meiner Freundinnen haben bereits während ihrer Schwangerschaft angefangen, Erziehungsratgeber zu lesen und tun das bis heute. Das bringt natürlich auch Nachteile: Als Eltern vertrauen wir heutzutage wenig auf uns und zweifeln ständig, ob wir das Richtige tun. Und weil wir so wenig an uns selber glauben, zweifeln wir wahrscheinlich auch an unseren Kindern.
Wir zweifeln, ob sie den Schulweg in der Vierten schon alleine hinkriegen, den Übergang auf die weiterführende Schule schaffen, ein High School-Jahr in den Staaten absolvieren können, einen Studienplatz bekommen oder einfach nur gesund groß werden. Und während wir einen großen Teil unseres Elternlebens damit verbringen, an uns und unseren Kindern zu zweifeln, nimmt sich unser Nachwuchs viel Zeit beim Groß werden.
Die Sache mit der Verantwortung
Er läßt sich mit dem Eltern-Taxi von A nach B chauffieren, zählt fest auf die elterliche Mitarbeit beim nächsten Schulreferat und hält gleichzeitig nicht besonders viel davon, Verantwortung zu übernehmen: Verantwortung für das Tischdecken am Abend, die nächste Mathearbeit oder einfach nur das eigene Zimmer. Das nervt uns gewaltig.
Was können wir tun? Vielleicht sollten wir zunächst einmal unser Kontrollbedürfnis zügeln und daran arbeiten, loszulassen. Schließlich ist doch eines klar: Wir können unsere Kinder nicht vor allem Übel in der Welt schützen. Auch wenn wir das gerne hätten.
Helikopter-Eltern sind besser als ihr Ruf
Helikopter-Eltern werden gerne belächelt. Aber drehen wir den Spieß doch einmal um: Ich bin mir sicher, dass es noch nie so viele bewußt erziehende und engagierte Eltern gab wie heute. Bei der ganzen Diskussion um die sogenannten Helikopter-Eltern vergessen wir häufig, dass Eltern noch nie so verunsichert, aber gleichzeitig auch noch nie so präsent im Leben ihrer Kinder waren wie heute.
Fakt ist: Während wir früher nach der Schule noch so früh wie möglich ausziehen wollten, haben sehr viele Kinder und Jugendliche heute ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Was gibt es daran zu meckern?