La Familia

Kinder können sich ändern – wenn wir sie lassen

Ängstlich“, “Chaotisch“, “Schwierig“: Es ist einfach, Kinder in Schubladen zu stecken. Aber was erreichen wir eigentlich dadurch? 

Hier ein paar der Schubladen, in die ich als 10-Jährige gesteckt wurde:

“Sie ist chaotisch.“

“Sie ist vergesslich.“

“Sie ist ängstlich.“

“Sie ist schüchtern.“

“Sie ist unselbständig.“

Aus allen diesen Schubladen, die mich als 10-Jährige noch definiert haben, bin ich im Laufe meines Lebens herausgekommen. Zum Glück. Heute macht es mir große Freude, auf andere Menschen zuzugehen und neue Bekanntschaften zu schließen. Ich mag Menschen. In meinem alltäglichen Leben gibt es nur sehr wenige Dinge, die mir wirklich Angst machen. Ich bin verantwortungsvoll und gut organisiert. Auch wenn es um meine Arbeit geht, bin ich eine verlässliche und gewissenhafte Kollegin und halte mich grundsätzlich an alle Deadlines. Nichts von dem, was ich bis heute erreicht habe, ist mir allerdings zugefallen. Das habe ich inzwischen verstanden. Verstanden habe ich auch, dass man selber entscheiden muss, sich weiterzuentwickeln.

Eltern und Lehrer räumten uns in Schubladen ein

Trotzdem. Veränderungen sind mir schon immer verdammt schwer gefallen. Ein möglicher Grund: Früher guckten Eltern und Lehrer in der Regel schon zeitig, unter welchen Bedingungen man als Kind in eine bestimmte Schublade passt. Sie räumten uns ein und drehten den Schlüssel um. An sich ist ja nichts dabei, Dinge zu kategorisieren und in Schubladen zu stecken. Wenn wir über Socken, die wir von Unterwäsche trennen, reden, ist es nur sinnvoll. Wesentlich komplizierter ist es aber, wenn es dabei um Kinder geht.

Deshalb wiegt eine Tatsache umso schwerer: Obwohl wir selber zum größten Teil die Schubladen verabscheuen, in die man uns als Kinder gesteckt hat, machen wir heute genau dasselbe mit unseren Kinder! Wir kategorisieren und etikettieren unseren Nachwuchs, um den Familienalltag einfacher zu gestalten. Wir benutzen Schubladen, um Diskussionen und Streitigkeiten zu vermeiden und reibungsloser durch die Woche zu kommen. Wenn man genauer hinschaut, umreißen Schubladen sogar unser ganzes Familienleben. Fast wie eine Art Komfortzone.

Der Junge hat Angst vor Hunden“

“Der Junge ist ein schlechter Esser“ sagen wir – und kochen grundsätzlich nur die fünf Gerichte, die beim Abendessen nicht auf dem Teller bleiben. “Das Mädchen ist nun mal keine Naturwissenschaftlerin“ sagen wir – und raten der Tochter sich in Mathe, Physik oder Chemie bloß nicht zu sehr anzustrengen. “Der Junge hat Angst vor Hunden“ sagen wir – und versuchen vor jedem Zusammentreffen mit einem Hund, die Straßenseite zu wechseln. “Das Mädchen verliert alles“ sagen wir – und suchen schon zum dritten Mal in der Woche die Wohnung nach ihrem Haustürschlüssel ab.

Veränderung kostet Energie

Was bleibt zu tuen? Veränderung kostet Energie, aber Kinder können sich ändern. Wenn wir sie lassen. Warum hören wir also nicht endlich auf, unseren Nachwuchs in Schubladen zu stecken? Denn nur so geben wir unseren Kindern indirekt auch die Erlaubnis, sich zu verändern.

Als Erwachsene wissen wir doch inzwischen längst, dass nichts ohne Veränderung geht. Wären wir nicht öfter mal ein Risiko eingegangen. Hätten wir nicht hin und wieder mal unsere Komfortzone verlassen. Dann wären wir niemals dort angekommen, wo wir heute heute ist: Bei unserem Erwachsenen-Ich.


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