Bei deutsch-ausländischen Paaren gibt es häufiger Stress. Ihr Familienalltag ist nicht selten ein Balanceakt mit ungewissem Ausgang. Trotzdem sollte man eigentlich den Hut ziehen vor allen, die sich so etwas trauen.
Mit der interkulturellen Kompetenz ist das so eine Sache. Wer im Job über interkulturelle Kompetenz verfügt, ist klar im Vorteil. In binationalen Familien ist die Fähigkeit, mit anderen Kulturen angemessen und erfolgreich kommunizieren zu können, überlebenswichtig. Und nicht alle wissen, was für eine kommunikative Knochenarbeit solche Paare Tag für Tag leisten.
Zu Beginn ihrer Beziehung ist für die meisten von ihnen Liebe allein ein Argument, zusammen zu sein. Doch was in der Theorie so wunderbar einfach und romantisch klingt, ist in der Praxis deutlich komplizierter: “Heiligabend“ oder “Reyes Magos“? “Abendbrot“ oder “Cena“? Die deutschen Großeltern besuchen oder die in Griechenland? Um die Wogen zu glätten, müssen häufiger als woanders Missverständnisse aus dem Weg geräumt und Vorurteile abgebaut werden. In Diskussionen tendieren Paare eher dazu, mit Verallgemeinerungen wie “typisch deutsch“ oder “typisch französisch“ um sich zu schlagen. Wer eine binationale Beziehung führt, der sollte sich deshalb in Toleranz üben. Und gelassen bleiben.
Ein Beispiel:
Er: “Wann kommt das neue Sofa?” Sie: “Weiß ich nicht so genau, irgendwann in den nächsten zwei Wochen”. Er: “Aber, dass kann doch nicht sein. Jetzt warten wir schon so lange. Kannst du nicht einmal bei der Firma anrufen und nachfragen?” Sie: “Ok, das mache ich gleich.” Er: “Was sagen sie?” Sie: “Das sie es auch nicht so genau wissen. Irgendwann in der nächsten Woche wird es geliefert.” Er: “Was für eine Katastrophe! Da reden alle von deutscher Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit – ein Witz!” Sie: “Ich glaube, dass kann man nicht so verallgemeinern. Im Großen und Ganzen funktioniert doch eigentlich alles ganz gut hier.” Er: “Das Sofa ist nur ein Beispiel. Mich nerven die vielen Baustellen. Und natürlich auch dieser Hauptstadtflughafen, der nie fertig wird und die öffentlichen Verkehrsmittel ohne Klimaanlage. Trotzdem wollen die Deutschen den anderen ständig erklären, wo es lang geht.” Sie: “Na ja, jetzt hast du es geschafft. Ich habe schlechte Laune – für alle diese Dinge kannst du mich doch nicht verantwortlich machen! Haben wir nicht eben noch über das neue Sofa geredet?“ So oder ähnlich kann es zugehen, wenn binationale Paare diskutieren. Da fliegen schon mal die Fetzen.
Mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten
Deutsche Paare haben in der Regel dieselbe Herkunft und blicken auf ähnliche Erfahrungen zurück. Wird in einer Familie mehr als eine Sprache gesprochen, dann gehen auch die Lebensgeschichten oft auseinander. Und obwohl man sich im Normalfall gut versteht, erhöht sich das Risiko für Missverständnisse und Konflikte. Hinzu kommt, dass binationale Familien in ihrem persönlichen Umfeld oft eine Vielzahl von Vorurteilen und Klischees befeuern: Schulversagen – “klar, das Kind wächst doch mehrsprachig aus“; Eheprobleme – “mit einem Ausländer sind die doch vorprogrammiert“. Auf die Herausforderungen, vor denen diese Familien in ihrem Alltag stehen, sind die wenigsten vorbereitet.
Dabei sind binationale Paare längst keine Ausnahmeerscheinung mehr: In Deutschland hat sich die Zahl der deutsch-ausländischen Familien seit 1996 in absoluten Zahlen mehr als verdoppelt. Im Jahr 2017 gab es unter den insgesamt 21 Millionen Paaren in Deutschland 1,5 Millionen Paare, die aus einer Person mit einer deutschen, und einer Person mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit bestanden. Viele fragen sich deshalb: “Eine Familie, zwei Sprachen – kann das klappen?“
Diese Frage ist selbstverständlich berechtigt, trotzdem sollte uns immer klar sein: Für die Gesellschaft der Zukunft sind binationale Familien eine große Chance. Denn ohne interkulturelle Begegnung und Kommunikation wird es nicht gehen. Und binationale Familien können zeigen, wie so etwas funktioniert: Sie leben mit Personen aus anderen Ländern und Kulturkreisen zusammen, erziehen ihre Kinder auf mehreren Sprachen und erproben – ohne sich dessen immer bewußt zu sein – was allgemein als eine der Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts angepriesen wird: Interkulturelle Kompetenz. Dabei ist der Familienalltag deutsch-ausländischer Familien nicht selten ein ständiger Stresstest und ein Balanceakt mit ungewissem Ausgang. Hut ab also.
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