Wer kennt das nicht? Resignation und Enttäuschung über die “nicht lesenden“ Kinder. Deshalb hier ein paar erfrischende Ansichten über den Umgang mit dem kindlichen Lesefrust.
Wir sind ein Bücherhaushalt. Menschen, die an einer Hausstauballergie leiden, merken das meistens relativ schnell. Denn Bücher stehen bei uns nicht etwa brav im Regal – sie stapeln sich auf dem Esstisch, im Ohrensessel, im Badezimmer oder auf Schuhschrank. Wenn mein Mann und ich zurückdenken, können wir beide einen ganzen Stapel Bücher nennen, der uns geprägt hat. Bücher sind einfach ein Teil unseres Lebens.
Samstagnachmittags ging es in die Bibliothek
Unsere Kinder finden Bücher eher überflüssig. Obwohl wir ihnen vom Krabbelalter an vorgelesen und brav Bilderbücher angeschafft haben. Samstagnachmittags ging es zum Stöbern in die Stadtbibliothek, später wurden interessante Sachbücher und spannende Romane – natürlich altersentsprechend – gekauft. Und immer freuten wir uns auf den Moment, in dem sie beim Lesen einmal so richtig die Zeit vergessen würden: Der Moment, in dem sie eintauchen würden in eine andere Welt. Der Moment, in dem sie ein Buch einen ganzen Tag lang nicht aus der Hand legen würden. Nur um später dann heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke weiterlesen zu können.
Unsere Kinder lesen nicht
Dieser Moment ist bei Kind1, mit Ausnahme einer kurzen intensiven Harry Potter-Phase, nie gekommen. Bei Kind2 würde ich sogar noch einen Schritt weiter gehen. Gäbe es da nicht “Gregs Tagebücher“, die berühmt-berüchtigte Comic-Roman Serie mit wenig Text und großen Bildern, wäre seine Leseliste wahrscheinlich bei null.
Was haben wir also falsch gemacht? Warum lesen unsere Kinder nicht gerne? Wissenschaftler sagen, dass die digitale Welt ihr Gehirn bereits verändert hat. Heutzutage wird unser Nachwuchs mit dem Smartphone in der Tasche erwachsen. Mit dem Resultat, dass es Heranwachsenden zunehmend schwerer fällt, beim Lesen bei der Sache zu bleiben. In den USA gaben 1980 beispielsweise noch 60 Prozent der Zwölftklässler an, jeden Tag in einem außerschulischen Buch, einer Zeitung oder Zeitschrift zu lesen. 2016 waren es nur noch 16 Prozent! Bei uns geht die Entwicklung in dieselbe Richtung.
Schlaue Leute geben schlaue Tipps
Um den kindlichen Lesefrust in Leselust umzuwandeln, geben schlaue Leute deshalb neuerdings viele schlaue Tipps. Personalisierte Bücher mit dem eigenen Kind in der Hauptrolle der Geschichte sollen wir suchen, einen Lieblingslese-Ort bauen oder unserem Nachwuchs kleine Leseaufgaben im Alltag stellen. Wenn das alles nicht funktioniert, können wir alternativ zu interaktiven Büchern oder Hörbüchern zum Einsteigen greifen. Die Liste gut gemeinter Vorschläge für unsere “nicht lesenden“ Kinder scheint endlos. Doch was, wenn alle Mühe umsonst ist und die lieben Kleinen/Großen trotz aller Mühen partout nicht lesen wollen?
In solchen Fällen sprechen Experten dann gerne von einer Lese- Rechtschreibschwäche (LRS). Für eine Gruppe von Kindern trifft diese Erklärung bestimmt zu, aber vielen anderen fehlt es wahrscheinlich einfach an Motivation.
Schule als Vollzeitjob
Lesen ist die bewußte Aufnahme von Informationen. Damit Kinder die gelesenen Informationen abspeichern können, muss das Gehirn arbeiten. Und das wiederum verbraucht Energie. Viele Kinder und Jugendliche arbeiten für die Schule aber heute soviel wie Erwachsene in Vollzeitjobs. In Ganztagsschulen und G8-Gymnasien sind die Tage lang. Wenn dann noch ein Sportverein oder ein Musikinstrument dazukommen, kommen viele Schüler leicht auf 10 Stunden-Tage. Da bleibt nicht viel ungenutzte Energie übrig. Sollten Eltern ihre Kinder am Abend trotzdem noch zum Lesen drängen?
Bloß keine Pflicht, keinen Druck und keinen Zwang, raten Pädagogen. Lesen sollte Freude machen und muss positiv besetzt sein. Eltern können trotzdem viel erreichen, glaube ich. Indem sie als positives Beispiel vorangehen, also selber lesen. Und ihren kleinen und großen Kindern vielleicht auch mal wieder vorlesen. Wenn es sein muss sogar aus “Gregs Tagebuch.“