La Familia

Mehrsprachigkeit: Ein Schatz fürs ganze Leben

Muttersprache, Vatersprache, Omasprache, Familiensprache – was heißt es eigentlich, mehrsprachig zu leben?

Meine Oma war eine weltoffene Frau, obwohl sie es vom Münsterland nie weiter als bis nach Köln geschafft hat. Immer wenn sie mir als kleines Mädchen stolz von ihren Ausflügen in die “große Stadt“ erzählt hatte, machte sie eine kleine Pause und fügte am Schluß noch hinzu “Weißt du eigentlich, dass ich drei Sprachen spreche?“ Über die Antwort lachte sie gerne viel und herzlich: “Deutsch, Plattdeutsch und “Über andere Leute“.

Meine Oma hätte gerne Sprachen gelernt

Meine Oma war eine starke und unabhängige Frau, die hervorragend alleine zurecht kam. Sie hatte einen kleinen Garten, den sie auch im hohen Alter noch selber bewirtschaftete. Dabei ging es ihr in erster Linie darum, die gesamte Großfamilie mit Marmelade und Eingemachtem versorgen zu können. Meine Oma kannte nichts anderes als Arbeit. Arbeit und immer wieder Arbeit. Aber hin und wieder erzählte sie mir, dass sie gerne die Welt bereist und Sprachen gelernt hätte, aber dazu hätte ihre Familie nun mal nicht die Möglichkeiten gehabt. Ich bin mir sicher, dass meine Oma in einem anderen Leben so etwas wie eine Globetrotterin geworden wäre.

Manchmal verspüre ich noch heute das Verlangen, meine Oma, zu mir nach Hause einzuladen. Dann würde ich eine festliche Kaffeetafel aufbauen – Erdbeertorte backen und frisch gebrühten Filterkaffee in meine besten Kaffeetassen gießen. Und meine Oma würde schnell merken, dass unser Familienleben mehrsprachig ist und sich vielleicht heimlich darüber freuen. Ich würde ihr selbstverständlich aber noch einmal alles erklären. Vielleicht mit diesen Worten: “Wir bringen unseren Kindern unsere Sprachen bei. Das ist völlig selbstverständlich und passiert jeden Tag – im täglichen Umgang, in Hauptsätzen und in Nebensätzen. In unserer Familie wird spanisch und deutsch gesprochen. Unsere Kinder lernen also spanisch und deutsch.”

Die Angst außen vor zu bleiben

Ich glaube, dass Kommunikation das Herz einer Familie ist. Und die Sprachen, die Eltern mit ihren Kindern sprechen, Identität stiften. In einer mehrsprachigen Familie sind das verschiedene Identitäten – die Muttersprache, die Vatersprache und die Umgebungssprache. Manche Familien entscheiden sich extra gegen Mehrsprachigkeit, weil ein Elternteil die Sprache der Mutter oder des Vaters nicht versteht und Angst hat, außen vor zu bleiben. Der Verlust, der für Kinder durch so eine Entscheidung entsteht, ist kaum in Worte zu fassen. Man könnte auch sagen – sie verlieren einen Teil ihrer Identität. 

Andere Eltern versuchen für ihre Kinder extra mehrsprachige Gleise zu schaffen, durch ein französisches Au-pair Mädchen, einen internationalen Kindergarten oder eine internationale Schule. Mehrsprachigkeit ist dann ein pädagogisches Ziel. Früher habe ich an so einen Weg nicht geglaubt, eine englische “Granny” ist schließlich etwas völlig anderes als ein englisches Au-pair Mädchen. Ich war davon überzeugt, dass, wenn Mutter und Vater Deutsche sind, wird es eben kein mehrsprachiges Aufwachsen geben und die Kinder lernen wie alle anderen Englisch als Fremdsprache und nicht als Familiensprache.

Aber meine Kinder haben mich mal wieder eines Besseren belehrt. Beide haben jahrelang eine bilinguale Schule besucht und fühlen sich im Englischen mittlerweile fast so wohl wie im Deutschen oder im Spanischen. Unterhalten sie sich zuhause auf Englisch – und das kommt in letzter Zeit immer häufiger vor – dann verändern sie mitunter Körpersprache, Mimik und Stimmlage. Sie schlüpfen in eine andere Rolle, probieren Worte an wie Kostüme. Und haben dabei viel Spaß – meiner Oma hätte das bestimmt gefallen.


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