Wer bestimmt, was gut ist für das eigene Kind? Eltern wollen heute überall mitreden. Das passiert vor allen Dingen in der Schule – und kommt bei Lehrern nicht immer gut an.
Eigentlich wollte ich an diesem grauen Novembertag über Tomatensauce schreiben. Das mag vielleicht banal klingen, ist in meiner Familie aber ein wichtiges Diskussionsthema. In solchen Diskussionen geht es um die Frage, ob Tomatensauce aus frischen Tomaten hergestellt werden muss, Tomatenketchup als Geschmacksverstärker dazugehört oder inwieweit es legitim ist, mit der leckeren roten Sauce seinen täglichen Obst- und Gemüsebedarf zu decken. Solche Dinge können mich in der Regel nicht aus der Ruhe bringen – denn zuhause bestimme ich, was gut für meine Kinder ist. Wie oft sie in der Woche Tomatensauce essen, wie lange sie täglich am Handy hängen dürfen, wann es ins Bett geht, wann der Tisch abgeräumt werden soll und welche Zeit die beste ist, um Hausaufgaben ohne Stress zu erledigen.
Die engagierte Elterngeneration
Wir haben eine komplexe Organisation rund ums Kind – meine Elterngeneration ist engagiert: Sie kennt den genauen Impfstatus ihrer Kinder, studiert regelmäßig den aktuellen Lehrplan und sammelt auch mal gerne ein paar hundert Unterschriften, wenn es darum geht den Schulweg der Kleinen sicherer zu gestalten. Nicht zu unrecht spiegeln Studien regelmäßig wider, dass vor allen Dingen in Deutschland das Engagement der Eltern für den Schulerfolg der Kinder eine grosse Rolle spielt. “Was machen eigentlich die Kinder, die keine Hilfe von ihren Eltern zuhause haben?“, fragte mich mein Zehnjähriger vor ein paar Tagen beim Hausaufgabenmachen. Kinder von Akademikern studieren dreimal häufiger als Kinder, deren Eltern nicht an einer Hochschule waren. Diese Ungerechtigkeit in unserem Bildungssystem ist nichts worauf wir stolz sein könnten – ganz im Gegenteil.
Aber solche Studien zeigen auch, dass viele Eltern sich heute in der Schule für ihre Kinder einsetzen – sie wollen mitreden. Früher galten Lehrer kraft ihres Amtes als Respektspersonen. Das ist vorbei und das ist auch gut so: Wir sind heute weniger autoritätsgläubig. Der Lehrer auf dem hohen Thron, vor dem man zu viel Respekt oder sogar Angst hat, das ist vorbei. Wir schrecken nicht davor zurück, uns für die Belange unserer Kinder einzusetzen: Schreiben mails, fragen nach, und stellen manche Lehrer sogar komplett in Frage.
Zu viel oder zu wenig sorgen?
Sorgen wir uns als Eltern, dann laufen Eltern und besonders Mütter (bei denen häufig immer noch die Hauptverantwortung liegt) aber immer Gefahr, bewertet zu werden. Kümmern wir uns zu wenig um unsere Kinder und zu viel um unsere Karriere, dann werden Frauen hinter vorgehaltener Hand als “Rabenmütter“ bezeichnet. Sorgen wir uns zu viel, dann ist es auch nicht richtig. Die sich “zu viel sorgenden Mütter“ sind in Großstädten wie Berlin längst zu einem Feindbild geworden und kommen gleich nach den Trolley-Touristen, Veganern und Taxifahrern. Die “neuen Feinde“ sind “Super-Mütter“, “Öko-Mütter“ oder “Beschützer-Mütter“. Jede dieser Mütter ist selbstverständlich anders, aber alle finden sich in derselben Schublade wieder. Kommt dann noch ein “sich sorgender Vater“ dazu – ist das Maß endgültig voll und die “Helikoptereltern” komplett. Und es kommt zu Konflikten, gerade in der Schule. Denn diese Eltern fühlen sich dem Wohl ihres Kindes verpflichtet – Lehrer müssen aber nun mal nach Lehrplan unterrichten.
Die Soziologin Désirée Waterstradt erforscht an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe Familienstrukturen und setzt sich dafür ein, dass Einsteiger in Erziehungs- und Lehrberufen bereits in ihrer Ausbildung auf den Kontakt mit Eltern vorbereitet werden. Wie sie in einem Interview mit dem schweizerischen Tagesanzeiger sagt, reicht es ihrer Meinung nach nicht aus, “bestimmte Eltern mit abwertenden Begriffen“ zu versehen. Stattdessen ruft Waterstradt auf, das Thema Elternschaft wissenschaftlich besser zu untersuchen und dieses Wissen künftig in die Berufsausbildung von Lehrkräften einzubringen.
Denn über Kinder wissen wir so viel – über Eltern aber noch viel zu wenig.