Keine Freunde treffen, keine Geburtstagpartys und nicht zu Oma und Opa fahren. Wie erklären wir unseren Kindern die Corona-Regeln?
Es bedurfte nicht erst der Corona-Epidemie – die Debatte um Regeln ist unter deutschen Eltern ein Dauerbrenner. Wir denken ständig darüber nach, welche Regeln für unsere Kinder wichtig und richtig sind: Wie viel Handy am Tag ist gesund? Wann müssen Kinder ins Bett? Geht es auch ohne Zucker? Sich über alle das den Kopf zu zerbrechen und danach Regeln aufzustellen, das ist eine Arbeit, die uns niemand abnehmen kann. Sie macht einen großen Teil von dem aus, mit dem wir uns als Eltern beschäftigen müssen. Dabei vergessen wir manchmal, dass für unsere Kinder praktisch die ganze Welt aus Regeln und Gesetzmäßigkeiten besteht: Kein Fernsehen vor den Hausaufgaben, kein Nutella auf dem Pausenbrot, keine Schimpfwörter. Kinder müssen lernen, auf die Bedürfnisse anderer Rücksicht zu nehmen und sich selber nicht schaden. Dafür gibt es Regeln. Was hat sich durch Corona daran geändert?
Meine Tochter sagt: “Dieses Jahr zieht sich wie Kaugummi. Alles ist so anstrengend geworden.“ Und ich denke sofort: “Stimmt“, schweige aber. Immer alles richtig zu machen, das ist heute schwieriger denn je und zerrt an den Kräften. Wären es nur die sogenannten “AHA-Regeln“ – Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmaske tragen – wäre das ja gelacht. So etwas erklären die meisten ihren Kindern nebenbei. Richtig schwierig wird es für Eltern aber, wenn sie ihren eigenen Ermessensspielraum neu definieren müssen. Schließlich gibt es immer noch Grauzonen – darf ich meinen Kindern erlauben, Freunde nach Hause einzuladen? Die ständige Missachtung von Corona-Regeln dürfte im Moment größere Konsequenzen für die Gesellschaft haben als Süßigkeiten essen, Fernsehgucken oder daddeln. Fakt ist, dass Eltern gerade jetzt dazu gezwungen sind, Werte, Freiheiten und Risiken gegeneinander abzuwägen. Wir müssen entscheiden, was für unsere Kinder und was für die Gemeinschaft gut ist. Wie überlastet und überfordert einige dadurch sind, sieht man an den Reaktionen: Während für manche Eltern die Corona-bedingten Einschränkungen wie ein rotes Tuch wirken, sind sie für andere quasi zum Lebensinhalt geworden.
Die hochbesorgten Eltern
Da gibt es zum Beispiel die Spezies der “hochbesorgten Eltern“, die schon ihre Kleinkinder mit Gesichtsmaske auf den Spielplatz schicken. Hochbesorgte Eltern stolpern von einem Nervenzusammenbruch zum nächsten, denn sie wollen ständig und unbedingt alles richtig machen. Im Moment halten sie deshalb ihren Nachwuchs gegenüber dem Rest der Welt auf Sicherheits-Abstand und benutzen zum Beispiel grundsätzlich keine Aufzüge mehr. Trifft man sie aber trotzdem zufällig einmal im Treppenhaus, dann ziehen und zerren sie an ihren Kindern, um sich mit ihnen in der nächsten Ecke zu verstecken. Hochbesorgte Eltern besuchen seit Monaten keine Großeltern und keine Freunde mehr und haben ihren Sommerurlaub auf dem Balkon verbracht. Läuft die Nase, dann muß ihr Kind zuhause bleiben. Alles aus Angst der Nachwuchs könnte sich vielleicht doch als “Superspreader“ entpuppen. Um mal ganz ehrlich zu sein, wirken hochbesorgte Eltern auf mich nicht besonders sympathisch. Machen sie es es aber trotzdem irgendwie richtig mit der Erziehung in Corona-Zeiten?
Die empörten Eltern
Auf der anderen Seite stehen nämlich die Eltern, die Ihre Kinder grundsätzlich vor allen unangenehmen Gefühlen schützen wollen und deshalb auf Regeln pfeifen. Sie tun alles, damit es ihr Nachwuchs möglichst angenehm hat – Pandemie Hin, Pandemie Her. Wie diese Eltern ticken, versteht man am besten beim Thema Masken: Mit einem Mundschutz könnten die Kinder sich “leichter erkälten“, schließlich würden sie ja ständig ihren eigenen Atem inhalieren, sagen sie. Einige von ihnen belassen es nicht bei Worten. Sie schicken ihre Kinder regelmäßig ohne Maske in die Schule. Beim Elternabend meines Zweitgeborenen erzählt die Schulleiterin, dass es immer wieder dieselben Kinder sind, die ohne Mundschutz in die Schule kommen. Hilfe bekommen sie dabei auch von außen. Das ist nicht besonders schwierig, denn im Netz finden sich gerade zahlreiche Hinweise auf Ärzte, die bereitwillig Atteste gegen die Maskenpflicht ausstellen. Auch ohne Untersuchung.
Bei einem sind sich die hochbesorgten und die empörten Eltern vielleicht aber sogar einig: Kinder haben es gerade nicht gerade einfach. Während es sich viele Eltern jeden Morgen mit einer Tasse Kapselkaffee in der Hand im Homeoffice gemütlich machen, leben unsere Kinder seit dem Sommer wieder im Regelbetrieb. Und der hat es in sich. Nehmen wir einmal meinen Elfjährigen: Pfeift seine Lehrerin kurz nach acht genau sechs mal, dann darf er zusammen mit seinen Klassenkameraden an einer dafür vorgesehenen Stelle das Schulgebäude betreten. Selbstverständlich mit Maske. Er muss seine Hände vor dem Betreten und nach dem Verlassen seines Klassenzimmers desinfizieren, darf keine Stifte mit anderen Kindern teilen, sitzt während des Unterrichtes ständig im Durchzug und darf in der Musikstunde nicht mehr singen. Vor dem Sportunterricht soll er auf keinen Fall die Umkleidekabinen und den Waschraum immer nur mit einem anderen Kind benutzen.
Schulalltag in der Corona-Krise ist anstrengend. Aber das ist noch nicht alles: Für die meisten Schulkinder steht die nächste Quarantäne praktisch vor der Tür und die Wahrscheinlichkeit bald wieder ohne Freunde, Sportverein und Musikschule für ein paar Wochen zuhause zu sitzen steigt von Tag zu Tag. Doch wie erklären wir das unserem Nachwuchs, ohne dabei empört oder hochbesorgt zu wirken? Elternsein war schon immer etwas höchst individuelles und in jeder Familie gelten andere Regeln. Nichtsdestotrotz sollte es gerade jetzt ein allgemeines Verständnis davon geben, was richtig und wichtig ist.
Vielleicht versteht man es auch so: Es könnte doch sein, dass uns irgendwann in einer fernen Zukunft ein Außerirdischer fragt: „Wie habt ihr das als Eltern eigentlich hingekriegt während der Corona-Krise?“ Dann sollten wir eventuell einen Erklärungsversuch parat haben.
„Mit ein paar Regeln und viel gesundem Menschenverstand“, könnte meiner lauten.